Konfuzius    Laotse


  Der Konfuzianismus  

Kaiser Kao Tsu
Obgleich Konfutse nie der Gründer eines Glaubens sein wollte, nahm die von seinen Schülern aus seinen Lehren abgeleitete Denkschule im Laufe der Zeit kultischen Charakter an. Konfutse wurde zum Mittel-
punkt staatlicher Kulthandlungen - zunächst zwar nicht als Gott, sondern als Weiser und Vorbild, schließlich aber auch als Gott. Erstmalig erwies Kaiser Kao Tsu, der Gründer der Han -Dynastie, im Jahre 195 v. Chr. Konfutse kultische Ehren, indem er zum Grabe des Weisen wallfahrte und ihm Opfer darbrachte. Im Jahre 136 v. Chr. machte Kaiser Wu dann den Konfuzianismus zur Grunddisziplin für die Heranbildung von Regierungsbeamten. Von nun an suchte jeder neue Kaiser die dem Konfutse von früheren Herrschern erwiesenen Ehrungen zu über-
bieten.

Und umgekehrt gab der Konfuzianismus der kaiserlichen Gewalt die ideologische Grundlage: Bis zum Untergang der letzten chinesischen Kaiserdynastie im Jahre 1912 galt der Kaiser, der "Sohn des Him-
mels", als der Mittler zwischen Himmel und Volk, Natur und Menschenwelt, Sit-
tengesetz und Staatsgefüge, Kultus und Ritual standen gleichermaßen unter dem Weltgesetz des Tao, untereinander verknüpft in innigster Wechselbeziehung, und für die Ordnung innerhalb der Menschenwelt sorgte das Sittengesetz, jenes "li", das Konfutse so eindringlich gelehrt hatte. Zweimal im Jahr besuchte der Kaiser den Konfutse-Tempel in Peking, machte einen Kotau und rief aus: "Groß bist du, Gipfel der Weisheit! Deine Tugend und deine Lehre sind ohne Fehl. Unter Sterblichen war nie deinesgleichen. Alle Könige ehren dich. Deine An -
ordnungen und Gesetze sind uns in ihrer ganzen Herrlichkeit übermittelt wor-
den. Voller Ehrfurcht schlagen wir unsere Zimbeln und lassen unsere Glocken klingen."

Im Laufe der Jahrhunderte wurde Konfutse mit posthumen Ehrungen überhäuft. Er wurde zum Herzog ernannt, dann zum Fürsten, zum "Ehrwürdigen Weisen früherer Zeiten", zum "Heiligen Lehrer des Altertums". Und endlich wurde er sogar unter die Götter erhoben. Unmittelbar vor dem Ende der Herrschaft der Himmelssöhne, im Jahre 1906, setzte der letzte Mandschu-Kaiser den "Heiligenlehren" Konfutse unmittelbar neben Himmel und Erde, die höchsten Kultinhalte schlechthin. Sechs Jahre später gab es keinen Kaiser von China mehr - das Reich der Mitte war Republik geworden. Mit dem Sturz des Kaiserreichs wurde auch die Stellung des Konfuzianismus schwer erschüttert, obgleich die Regierung Tschiang-Kai-schek Konfutses Geburtstag 1934 zum Nationalfeiertag erklärte - ein Gedenktag, der heute noch auf Formos agefeiert wird. (Formosa ist das heutige Taiwan)

Konfutses 2505. Geburtstag wird von den Zöglingen der Sung Kjun Kwan-Akademie in Seoul (Süd-Korea) gefeiert. Die Zeremonien, die am 27. August 1954 abgehalten wurden, umfaßten Festreden, Operdarbietungen und kultische Tänze. Der

  Der alte Meister  

Das Buch vom Weltgesetz und seinem Wirken
Tao-te-king - das Buch "Vom Weltgesetz und seinem Wirken", hat dank seiner mystischen Ge-
danken, dank seiner Empfehlung, das Lebensziel in würdigruhiger Wunschlosigkeit und in ver-
trauensvollem Sichversenken in den Urgrund des Alls zu suchen, auch im Abendland weite Wirk-
ungen gehabt. Über seinen angeblichen Ver-
fasser Laotse, den "Alten Meister", schweigen die Quellen so gut wie völlig. Die Überlie-
ferung, Konfutse habe in seinen jungen Jahren den älteren Laotse in Lo-yang aufgesucht, doch seien die beiden großen Denker Chinas sich infolge der grundverschiedenen Einstellung zu den Fragen von Mensch und Welt nicht nahege-
kommen, ist sicherlich Legende. Eines aber ist richtig: Auch wenn sich die beiden Großen wirklich begegnet wären, hätte es nie zu einer Einigung zwischen ihnen kommen können. Dafür war Konfutses Denken viel zu sehr dem irdischen Leben des Menschen in einer sittlichen Ordnung und den für diese geltenden Satzungen zugewendet, während Laotse im wahren Tun des wahren Weisen ein "Nicht-Tun" sieht, ein aus dem Innern aufsteigendes, mit dem Weltgesetz in Harmonie stehendes Handeln.

Viele große Lehrer der Menschheit haben behauptet, daß für sie selbst das Joch ihrer Philosophie nicht schwer und ihre Bürde leicht sei - doch räumten sie ein, daß es den Menschen schwerfallen würde, ihnen zu folgen. Laotse lehrte das Tao - den Weg - und behauptete, daß es unmöglich sei, eine genaue Be-
schreibung des Tao zu geben. Das Werk, das man Laotse gewöhnlich zuschreibt, besteht aus 81 kurzen Kapiteln, die oft in zwei Bücher eingeteilt werden. Im allerersten dieser Kapitel kehrt ein Thema immer wieder: das Tao habe keinen Namen, es könne weder ausgesprochen noch irgendwie im einzelnen erörtert werden. Laotse folgerte weiter, das Tao sollte eigentlich gar keinen Namen haben, und der einzige Grund, aus dem heraus man ihm schließlich doch einen Namen geben könne, sei die Tatsache, daß die menschliche Sprache es einfach notwendig mache, es irgendwie zu benennen.

Die Tugenden des Chinesen werden hier in einer Illustration zu Konfutses Klassischem Buch erläutert. Die wohlerzogenen Herren vorn machen die respektvolle Verneigung. Die Gruppe unter dem Baum zeigt harmonisches Zusammensein bei Musik und Tanz. Der tugendhafte Bauer oben rechts wendet sich von einem Schläfer ab, weil er weiß, was Unrecht ist - hier also offenbar das Schlafen zum Mittag oder während der Arbeitszeit.

Bezeichnend für das Tao ist, daß es, obzwar es allen Dingen das Leben schenkt, sie niemals zu beherrschen scheint. So steht im 34. Kapitel des Tao-te-king:

Das große Tao, wie es umherschwebt.
Es kann links und rechts sein.
Alle Wesen haben ihr Leben von ihm,
und es versagt sich ihnen nicht.
Ist das Werk vollendet,
nennt Tao es nicht seinen Besitz.
Alle Wesen kehren sich zu ihm,
und es spielt nicht den Herrn,
darum kann es groß genannt werden.
Weil es nie Größe beansprucht,
darum ist die Größe erreicht.

Wie weit der Abstand zwischen dem mystischen Erleben Laotses und dem prag-
matisch nüchternen Denken Konfutses ist, geht aus den folgenden Stellen des Tao-te-king hervor. Wie hier, so kreisen die Betrachtungen und die naturphi-
losophischen Spekulationen der taoistischen Denker immer und immer wieder um den "Quellenden Urgrund", wie der Titel des Werkes eines Meisterschülers von Laotse, des Lieh-tse, lautet. In diesen "Quellenden Urgrund" soll sich der wahrhaft Weise, fern allem Begehren, versenken:


Tao ist leer, verwendet es seine Leere, wird es nie gefüllt.
Ein Abgrund!
Gleich dem Urvater aller Dinge.
Es bricht seine Schärfe,
streut aus seine Fülle,macht milde sein Glänzen,
wird eins mit dem Staube.
Doch dunkel wie tiefes Wasser scheint es zu verweilen.
Ich weiß nicht, wessen Sohn es ist;
es zeigt sich als des HERRN Vorgänger.

Ein weiter Raum hat keine Ecken.
Ein großes Talent braucht lange zum Reifen.
Große Musik wird schwach nur vernommen.
Große Form hat keinen Umriß.
Tao ist verborgen, namenlos!
Dies Tao nur im Verleihen und Vollenden ist groß.

Laotse liebte es, sich in Paradoxen auszudrücken. Und doch ist hinter all den scheinbaren Widersprüchen seine Theorie vom ewigen Kreislauf zu erkennen, in welchem alles schließlich sich ins Gegenteil umkehrt. Dschuang-dsi (etwa 300 v. Chr.), mit seinem "Wahren Buch vom Südlichen Blütenland" der bedeutendste Taoist nach Laotse, hatte eine ähnliche Vorliebe für die paradoxe Ausdrucks-
weise, war aber für unser Gefühl weit einfallsreicher als Laotse, dessen in aphoristische Form gekleidete, dichterische Spruchweisheit oft mystisch-dunkel bleibt. Als Gegenstück zu Laotses kurzen Sätzen sei deshalb ein Text von Dschung-dsi wiedergegeben. Er erzählt uns, wie gewisse Bäume - gerade so wie gewisse Menschen - regelrecht dazu herausfordern, abgehauen (beziehungsweise ausgenützt) zu werden. Es ist darum - und das ist das Paradox oft von Nutzen, nutzlos zu sein.

Der Zimmermann Stein wanderte nach Tsi. Als er nach Kü Yüan kam, sah er einen Eichbaum am Erdaltar, so groß, daß sein Stamm einen Ochsen verdecken konnt, er maß hundert Fuß im Umfang und war fast so hoch wie ein Berg. In einer Höhe von zehn Klaftern erst verzweigte er sich in etwa zehn Äste, deren jeder ausge-
höhlt ein Boot gegeben hätte. Er galt als eine Sehenswürdigkeit in der ganzen Gegend. Der Meister Zimmermann sah sich nicht nach ihm um, sondern ging seines Weges weiter, ohne innezuhalten. Sein Geselle aber sah sich satt an ihm; dann lief er zu Meister Stein und sprach: "Seit ich die Axt in die Hand genommen, um Euch nachzufolgen, Meister, habe ich noch nie ein so schönes Holz erblickt. Ihr aber fandet es nicht der Mühe wert, es anzusehen, sondern ginget weiter, ohne innezuhalten. Weshalb?"

Jener sprach: "Genug! Rede nicht davon! Es ist ein unnützer Baum. Wolltest du ein Schiff daraus machen, es würde untergehen; wolltest du einen Sarg daraus machen, er würde bald verfaulen; wolltest du Geräte daraus machen, sie würden bald zerbrechen; wolltest du Türen daraus machen, sie würden schwitzen; woll-
test du Pfeiler daraus machen, sie würden wurmstichig werden. Aus dem Baum läßt sich nichts machen; man kann ihn zu nichts gebrauchen; darum hat er es auf ein so hohes Alter bringen können."

Junge, angehende Mönche.
Der Zimmermann Stein kehrte heim. Da erschien ihm der Eichbaum am Erdaltar im Traum und sprach: "Mit was für Bäumen möchtest du mich denn vergleichen? Willst du mich vergleichen mit euren Kulturbäumen, wie Weißdorn, Birnen, Apfelsinen? Sie bringen kaum ihre Früchte zur Reife, so mißhandelt und schändet man sie. Die Äste werden abgebrochen, die Zweige werden geschlitzt. So bringen sie durch ihre Gaben ihr eigenes Leben in Gefahr und vollenden nicht ihrer Jahre Zahl, sondern gehen auf halbem Wege zugrunde, indem sie sich selbst von der Welt solch schlechte Behandlung zuziehen. So geht es überall zu. Darum habe ich mir schon lange Mühe gegeben, ganz nutzlos zu werden. Sterblicher! Und nun habe ich es soweit gebracht, daß mir das vom größten Nutzen ist. Nimm an, ich wäre zu irgend etwas nütze, hätte ich dann diese Größe erreicht? Und außerdem, du und ich, wir sind beide gleichermaßen Geschöpfe. Wie sollte ein Geschöpf dazu kommen, das andere von oben her beurteilen zu wollen! Du, ein sterblicher, unnützer Mensch, was weißt denn du von unnützen Bäumen."

Der Meister Stein wachte auf und suchte seinen Traum zu deuten. Der Geselle sprach: "Wenn doch seine Absicht war, nutzlos zu sein, wie kam er dann dazu, als Baum beim Erdaltar zu dienen?" Jener sprach: "Halte den Mund, rede kein Wort mehr darüber! Er wuchs absichtlich da, weil sonst die, die ihn nicht kannten, ihn mißhandelt hätten. Wäre er nicht Baum am Erdaltar, so wäre er wohl in Gefahr gekommen, abgehauen zu werden. Außerdem ist das, wozu er dient, von dem Nutzen all der anderen Bäume unterschieden, so daß es ganz verkehrt ist, auf ihn die (gewöhnlichen) Maßstäbe anwenden zu wollen."

  Der Taoismus  

Der Lehrer Konfutse, der 3000 Schüler hatte, sitzt hier auf einer Estrade und doziert. Das auf Seide gemalte Bild illustriert das erste Kapitel des Klassischen Buches von der Kindlichen Ergebenheit, in dem es heißt: Kindlicher Gehorsam gegenüber den Eltern ist die Quelle, aus der alle übrigen Tugenden fließen.

Bild oben: Empfang der Unsterblichen in der Himmelsresidenz von Hsi Wang Mu, der Westlichen Königin-Mutter. Dieser Himmel, lokolisiert im turkestanischen Kun-Iun-Gebirge, gilt im Taoismus als besonders begehrenswerter Himmel. Oben sitzt Hsi Wang Mu, um die "Hsiem", die Unsterblichen, zu empfangen. Links unter ihr die beliebtesten Figuren der taoistischen Mythologie, die "Acht Unsterblichen", die wegen ihrer guten Werke besonders ausgezeichnet wurden. Die fünf Alten unten rechts symbolisieren die fünf Elemente Metall, Holz, Wasser, Feuer und Erde. Links unten der aus dem Buddhismus stammende blaue "Löwenhund", daneben "tschi-lin", das Glück bringende Einhorn. In der Mitte links entsteigen acht Unsterbliche einem Boot am Ufer des Großen Jade-Sees, daneben plaudern drei weibliche "Hsien" im Innern einer Höhle. Das Gemälde befindet sich im Britischen Museum. Anmerkung: Das Bild ist leider viel zu gross, als dass es in seiner vollen Höhe gepostet werden könnte.

Wie sich der Konfuzianismus aus einer Philosophie zu einem Kult entwickelte, so wurde der alte Taoismus im Laufe der Zeit von einem Wust magischen und okkultistischen Beiwerks überwuchert. Laotses mystische Philosophie bot dem einfachen Chinesen wenig Trost. Es gab aber eine Stelle im Tao-te-king, die ihn tief beeindrucken mußte: "Wer das Tao erlangt, ist ewig. Er wird nicht untergehen, wenn auch sein Körper zerfällt." Da für die Chinesen mehr als für jedes andere Volk das Alter die Krönung des Lebens ist, wurde aus der Hoff-
nung, das Tao zu erlangen, allmählich die Hoffnung auf persönliche Unsterb-
lichkeit.

Viele Lehrer des Taoismus entfernten sich mehr und mehr von den Gedanken ihres Meisters. Über ihre ursprünglichen Aufgaben hinaus fühlten sie sich als Träger übernatürlicher Kräfte. Und vom Drang nach Unsterblichkeit getrieben, zogen viele Menschen in die Berge, um in abgelegenen Einsiedeleien Vergeistigung zu suchen. Während des 1. Jahrhunderts n. Chr. war der Taoismus in größter Ge-
fahr, durch den aus Indien eingeführten Buddhismus überflutet zu werden. Die-
ser Gefahr begegnete der Taoismus, indem er sich in eine Formalreligion um-
wandelte.

Konfutse
Vieles entlehnte der neue Taoismus vom Buddhismus. Die Vor-
stellung des Mahajana-Buddhismus von einem Paradies, die dem Chinesen ursprünglich fremd war, wurde von den Taoisten auf-
gegriffen und erweitert, so daß es schließlich 88 Himmel gab. Einige buddhistische Gottheiten wurden übernommen, dazu einige alte Volksgötter - der Gott des Reichtums, der Kü-
chengott, verschiedene Naturgottheiten -, und viele neue verkündet: Götter für Sterne, Metalle, Berufe, Seuchen, my-
thische Helden, Fabeltiere, ja sogar ein Gott der Räuberei und einer der Trunkenheit. Selbst Konfutse wurde von den Taoisten unter die Götter versetzt. Der höchste Gott dieses taoistischen Pantheons, der Jade- oder Edelsteinkaiser, wur-
de angeblich im Jahre 1012 von Kaiser Tschen-Sung erfun-
den, als ihm aus politischen Gründen eine himmlische Offen-
barung wünschenswert schien. Irdischer Statthalter des himm-
lischen Edelsteinkaisers und damit Hoherpriester der taoistischen "Kirche" und Oberster aller Zauberer ist der "Himmelsmeister"; dieses Amt ist in der Fa-
milie, Tschang Tao-fing erblich. Im Laufe der Jahrhunderte sank der Taoismus zu purem Götzendienst und Aberglauben ab. Beladen mit einem Sammelsurium von Geisterbannerei, Zauberei, Wahrsagen, Amuletthandel und Alchemie hatte er schließlich mehr .Ähnlichkeit mit primitivem Fetischismus als mit der tief mystischen Philosophie des Laotse.

  Konfutse und Marx  

Ein Haus aus Papier und andere Opfergaben, alle aus Papier, werden hier verbrannt, um seine Seele aus dem Fegefeuer zu erlösen. Schon seit Jahrhunderten bringen die Chinesen keine wirklichen Opfer mehr dar, sondern papierene Nachbildungen.
Frau Sun Jat-sen, die Witwe des Gründers der chinesischen Republik, hat den Standpunkt der Kommunisten Chinas zur Tradition wie folgt gekennzeichnet: "Konfutses Lehren sind durch und durch feudalistisch und autokratisch. Wir müssen uns klarmachen, wie tief der Konfuzianismus unsere Kunst, Literatur, Gesellschaft und Moral geprägt hat, und große Anstrengungen unternehmen, diese Ideen aus jedem Winkel unseres Lebens und unserer Gedankenwelt herauszureis-
sen." Hierzu und zu der Frage, ob die Möglichkeit eines Kompromisses zwischen konfuzinanischer und kommunistischer Weltanschauung besteht, nimmt der im Exil lebende chinesische Philosoph Lin Yutang wie folgt Stellung: "Es fällt westlichen Beobachtern, die in China gelebt haben und das chinesische Volk aus eigener Anschauung kennen, schwer zu glauben, daß Menscnen von so gesundem Menschenverstand und soviel Mäßigung, wie es die Chinesen sind, zu fanatischen Kommunisten geworden sein sollen. Da muß man sich natürlich fragen, wie lebendig der konfuzianische Humanismus und die taoistische Idee des "Iaisser faire" im modernen China überhaupt noch waren und ob gegenwärtig eine Möglichkeit besteht, daß das philosophische Temperament des Chinesen sich wieder auf sich selbst besinnt.

Maoismus
Es ist ein Gemeinplatz, daß der Konfuzianismus mit seinem Familiensinn, seiner Erkenntnis, daß Näch-
stenliebe zu Hause beginnen muß, und dem hohen Wert, den er auf vernünftige soziale Verhältnisse legte, die chinesische Gesellschaft zweieinhalb Jahrtausende hindurch maßgeblid beeinflußt hat. Jeder Aspekt des chinesischen gesellschaftlichen Lebens - kindliche Ehrerbietung, Dorfregierung durch Älteste, Achtung vor dem Alter und vor den Gelehrten Auslese einer Führungsschicht - trägt Konfutses Stempel. Diesen positiven Seiten steht allerdings eine ganze Reihe negativer Merkmale gegenüber, die auf den Taoismus zurückgehen, vor allem eine ausgesprochene Gleichgültigkeit der Welt gegenüber, soweit man nicht direkt für sie oder für einen bestimmten Teil von ihr verantwortlich ist. Wenn die ehrenwerten Ältesten ihre Gemeinde ver-
lassen und sozusagen auf die offene Straße des Lebens hinaus treten, hört jäh ihr Verantwortungsgefühl auf und sie scheinen wie hartgesottene Straßenräuber nur noch den Grundsatz ,Nach uns die Sintflut' zu kennen. Man kann diese Hal-
tung auch bohemehaft-unbedenklich nennen oder religiös-zuversichtlich, denn offenbar sind diese Gentlemen Straßenräuber davon überzeugt, das Tao werde schon alles ins Lot bringen. Die eigenartige Mischung von Verantwortung und Verantwortungslosigkeit ist typisch für der Habitus des chinesischen Volkes. Ich für mein Teil bin übrigens der Ansicht, daß eine solche schöne Unbeküm-
mertheit in der Welt nicht ihresgleichen hat - und in übrigen haben alle Völker ihre Fehler und Sünden.

In jedem Land aber lebt die Gesellschaft nach einem bestimmten Moralkodex. In christlichen Ländern ist er christlicher Natur. In China wurde er durch den Konfuzianismu gestellt. Der Kommunismus, der etwas anderes an die Stelle setzen wollte, fand es notwendig, vor allem die Familiensolidarität - das Herzstück des Konfuzianismus - aufzulösen. Man schreckte sogar nicht davor zurück, die Kinder gegen die Eltern aufzuwiegeln. Wie groß ist nun die Lebens-
kraft von Konfuzianismus und Taoismus, um dem Kommunismus standhalten zu kön-
nen? Nun - da die Morallehrer im allgemeinen die Politiker überdauern, glauben wir, daß Gandhi länger als Nehru, daß Konfutse und Laotse länger als Mao Tse-tung dauern werden. Konfutses ,Goldene Regel' wird weiterleben. Und auch Laotses Tiefe, sein Kampf gegen Irrtum und Vorurteil, werden dem suchenden menschlichen Geist imme etwas zu geben haben. Laotses Lehre der Sanftmut und Demut wird wie die Bergpredigt allen politischen Verfolgungen trotzen. Wie ist es also möglich, daß das chinesische Volk die Verneinung aller seiner Lebens-
gewohnheiten und Glaubensvorstellungen akzeptiert und sich dem rigorosen To-
talitätsanspruch eines Regimes unterwirft, das alle Kräfte für die Plan-
wirtschaft einspannt? Die Antwort ist einfach: Es muss sich im Augenblick wohl oder übel fügen. Aber Ideen sind wie Samenkörner. Sie können lange schlafend im Boder liegen, bis ein günstiges Klima sie wieder zum Leben erweckt. Wann oder wie das geschehen, wann oder wie also das chinesische Volk wieder zu den konfuzianischen Idealen und der Toleranz zurückkehren wird, hängt wohl in erster Linie von der internationalen Politik ab. Als Chines jedenfalls hoffe ich, daß ich es noch erleben werde."

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