Konfuzius    Laotse


  Die beiden grossen Weisen  

Nach den Aufzeichnungen setzte Laotse seinen Weg über den Gebirgspaß fort und wurde nie mehr wiedergesehen.
Es ist eine einzigartige Fügung, daß die beiden Män-
ner, von denen die chinesische Kultur am nachhaltig-
sten beeinflußt worden ist, zur gleichen Zeit gelebt haben sollen, und zwar in jenem 6. Jahrhundert v. Chr., das auch Buddha, Pythagoras, die großen Pro-
pheten Israels und vielleicht Zarathustra hervorge-
bracht hat. Der erste war Laotse, ein halblegendärer Philosoph, dessen Persönlichkeit, wie wir sie heute sehen, von Zeit und Phantasie geformt wurde. Der andere war Konfutse, dessen Leben dokumentarisch belegt ist und dessen Familie zweieinhalb Jahrtau-
sende hindurch ungebrochen bis auf den heutigen Tag blüht.

Im Gegensatz zu den Gelehrten, die in Bezug auf La-
otse zu weit auseinanderklaffenden Ergebnissen ge-
kommen sind, will die Tradition wissen, daß er 604 v. Chr. auf einem Bauernhof in der Provinz Honan geboren wurde. Der Name Laotse (Lao-tse, Lao-dsi) heißt wörtlich "Alter Knabe" oder "der Älteste" und davon abgeleitet auch "Alter Meister". Die einzige historische Tatsache, die ihn betrifft, dürfte die sein, daß er das Amt eines Kurators der kaiserlichen Archive in Tschu innehatte, wo er als Gelehrter und Weiser berühmt wurde. Da ihn die Unordnung am Kai-
serhof abstieß, gab er schließlich sein Amt auf, floh die Gesellschaft und be-
schloß nach längerem Meditieren, in den unbekannten Westen zu fliehen. Die Legende berichtet weiter, daß er in einem von zwei Ochsen gezogenen Karren reiste, der am letzten Außenposten des Reiches vom Torhüter angehalten wurde - nicht in feindlicher Absicht, sondern weil der Grenzwächter den Weisen erkann-
te und ihn bat, doch vor der Weiterreise die Leitlinien seiner Philosophie niederzuschreiben. Laotse willigte ein und schrieb in ein paar Tagen das Tao-te-king nieder, jenes edle Meisterwerk, das man auch die "Bibel des Taoismus" genannt hat. Dann setzte Laotse seinen Weg über den Gebirgspaß fort und wurde nie mehr wiedergesehen.

Laotse schrieb in ein paar Tagen das Tao-te-king nieder, jenes edle Meisterwerk, das man auch die Bibel des Taoismus genannt hat.

Auch der Krieg wird geächtet. Soldaten sind Waffen des Bösen. Sie sind keine edlen Waffen...Selbst im Sieg liegt nichts Schönes.
Das Tao-te-king sieht im Tao das große, alles regelnde Prinzip des Weltenalls. Von Anfang an aber wird festgestellt, daß man das wirk-
liche Tao begrifflich überhaupt nicht fassen kann, weil das letzte, tiefste Geheimnis des Universums - das Geheimnis der Schöpfung und des Lebens - sich nicht mit einem Wort oder Namen belegen lasse. Obgleich es also die letzte Quelle aller Dinge sei, "weiß ich nicht, wessen Sohn dieses Tao - ein Abbild dessen, was schon vor Gott da war - eigent-
lich ist". Jedenfalls erhalten alle Dinge durch Tao Leben und Form: "Bevor Himmel und Erde existierten, war schon etwas Nebelhaftes da - schweigend, ganz für sich allein, in sich unverändert, ewig kreisend, würdig, die Mutter aller Dinge zu sein".

Für den Staat und seinen Bereich allerdings läuft das Tao, wie Laotse es deutet, auf den Grundsatz des "laisser faire" hinaus: Frieden und Freiheit sind dann gesichert, wenn die Regierungen darauf verzichten, sich in Leben und Angelegenheiten ihrer Bürger einzumischen. Auch der Krieg wird geächtet. "Soldaten sind Waffen des Bösen. Sie sind keine edlen Waffen...Selbst im Sieg liegt nichts Schönes. Wer ihn schön findet, hat Freude am Gemetzel." Gelegentlich erhebt sich das Tao-te-king zu Höhen, die jede andere Morallehre mit Ausnahme der christlichen weit unter sich lassen: "Gib Böses mit Gutem zurück". Liebe ist siegreich im An-
griff und unverwundbar in der Verteidigung.

Mit Liebe wappnet der Himmel diejenigen, die er vor Vernichtung bewahren will. Konfutse wurde 551 v. Chr. als Sohn einer verarmten Adelsfamilie in der Pro-
vinz Schantung geboren. Sein Familienname war K'ung. Das ebenfalls gebräuch-
liche Konfuzius ist eine von jesuitischen Missionaren geprägte Latinisierung des Wortes K'ung Fu-tse, das heißt "Großer Meister Kung". Schon als Kind in-
teressierte er sich für altchinesische Geschichte, Poesie und Musik. Er wollte Minister werden, um seine gesellschaftlichen Ideen in die Wirklichkeit umzu-
setzen. Aber obwohl er jahrelang umherwanderte und den verschiedenen Teil-
staaten des zerrissenen Reiches seine Dienste anbot, waren seine Bemühungen nur vorübergehend von Erfolg gekrönt. Den größten Teil seines Lebens wirkte er als Lehrer.

Konfutse betonte häufig, daß er "ein Vermittler, kein Schöpfer" sei, und er hat auch in der Tat sehr wenig geschrieben. Die meisten Gelehrten halten ihn aber für den Verfasser der klassisch gewordenen "Annalen von Frühling und Herbst". Das gewaltige System seiner Ethik, das Chinas staatliches und gesell-
schaftliches Leben bis in die jüngste Vergangenheit bestimmt hat, stützt sich vor allem auf die von seinen Schülern liebevoll aufgezeichneten Gespräche (lun-yü). In diesem Werk sind authentische Aussprüche des Meisters aufbewahrt worden, die von den Jüngern redigiert sein mögen, aber doch im Kern auf ihn selbst zurückgehen - es liegt hier also etwas Ähnliches vor wie mit den Worten Jesu in den Evangelien des Neuen Testaments. Im Sommer 479 v. Chr. wurde Kon-
futse krank, warf sich auf sein Lager und stammelte: "Der große Berg muß fal-
len, das starke Holz ist zerbrochen, der Weise verwelkt wie eine Pflanze." Eine Woche danach starb er.

Wenn jemand sich am Morgen zum Tao bekennt, dann kann er am Abend desselben Tages getrost sterben, sagte Konfuze.

Wie für Laotse, so stellte das Tao auch für Konfutse das große Lebensgesetz dar. "Wenn jemand sich am Morgen zum Tao bekennt, dann kann er am Abend des-
selben Tages getrost sterben", sagte Konfutse. Oder: "Wir sollten keinen ein-
zigen Augenblick vom Tao getrennt sein." Im Gegensatz zu Laotse war aber Kon-
futse ein pragmatischer Philosoph und Humanist, der niemals aus Begeisterung für ein mystisches Ideal den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verlor. Am stärksten unterscheidet er sich sowohl von Laotse wie von den abendländischen Philosophen dadurch, daß er sich weniger mit den allgemeinen Prinzipien be-
schäftigte als mit den ganz spezifischen Beziehungen von Mensch zu Mensch. Wo die griechischen Denker, die Platoniker, die Scholastiker und die ihnen fol-
genden Denker mit abstrakten Begriffen wie "Recht", "Gesetz" und "Tugend" arbeiten, da ging es Konfutse um die Nutzanwendung seiner Gedanken. Seine große Leistung war die Regelung der menschlichen Beziehungen im Rahmen der gesellschaftlichen Ordnung.
Der Palast den Laotse verlassen und aufgegeben hat.
Dabei konnte er auf älteste Überlieferungen aufbauen, etwa auf die "Neun Doppeltugenden" des bis ins 9. vorchristliche Jahrhundert und weiter sogar bis in die mythische Zeit zurückreichenden "Buches der Urkunden", nach denen der Mensch "freundlich und würdig, milde und fest, gerade und höflich, ordnungs-
liebend und respektvoll, gelehrig und kühn, aufrichtig und sanft, nachsichtig und maßvoll, stark und zuverlässig, mutig und gerecht" sein soll. Eine der Lehren, die Konfutse mit besonderer Leidenschaft kündete, war die, daß der Herrscher durch sein Beispiel regieren sollte. Er glaubte dabei fest an eine geistige Oberschicht, jedoch, wenn sie nicht gleichzeitig auch die moralische Oberschicht bildete, werde sie unweigerlich scheitern - das war seine Über-
zeugung. Über schlechte Herrscher fand er harte Worte. Als man ihn einst nach seiner Meinung über eine Gruppe regierender Männer fragte, sagte Konfutse nur heftig: "Oh, das sind alle Reisbeutel!" (das heißt, sie seien lediglich gut dazu, sich mit Reis anzufüllen). Ein guter Herrscher jedoch, der jederzeit auf seinen Lebenswandel wohl bedacht ist, kann einen außerordentlichen Einfluß auf sein Volk ausüben, und ebenso kann ein gemeiner Mann verderblich für seine Umgebung sein. Einmal stellte der Herzog Ding an Konfutse die Frage: "Gibt es eine kurze Formel, wie man einen Staat zum Aufblühen bringen kann?" Konfutse antwortete: "Eine Formel kann so weit nicht reichen. Doch gibt es ein Wort der Leute: ,Herrscher sein ist schwer, Kanzler sein nicht leicht'. Wenn man die Schwierigkeiten des Herrscherberufes erkannt, ist dann nicht ein Wort nahe daran, einen Staat zum Blühen zu bringen?" Aus Konfutses System ergaben sich dann jene Richtlinien für das praktische Handeln und Verhalten, die von seinen Erdentagen bis zum Untergang Altchinas in der roten Flut das "Reich der Mitte" und seine Menschen geprägt haben.

  Der grosse Meister Kung  

Der Lehrer Konfutse, der 3000 Schüler hatte, sitzt hier auf einer Estrade und doziert. Das auf Seide gemalte Bild illustriert das erste Kapitel des Klassischen Buches von der Kindlichen Ergebenheit, in dem es heißt: Kindlicher Gehorsam gegenüber den Eltern ist die Quelle, aus der alle übrigen Tugenden fließen.

Im Kernpunkt der Lehren des Konfutse, des "Großen Meisters Kung", steht der Leitsatz, daß das Sittengesetz (li) die Voraussetzung für den Erfolg jeder gesellschaftlichen Ordnung sei: Wenn die Menschen nicht in der Lage sind, in sich selbst ein moralisches Gleichgewicht zu bewahren, dann werden sie weder politischen noch sozialen Frieden erlangen. Die Essenz der Lehren des Konfutse findet sich in den "Gedanken und Gesprächen" (Lun-yü), der "konfuzianischen Bibel." Sie bilden eine Sammlung prägnanter ethischer Leitsätze und Sprich-
wörter, die entweder dem Meister selbst in den Mund gelegt werden oder ihn in irgendeiner Form betreffen. Alles Wesentliche, was Konfutse tat, sagte und lehrte, ist darin enthalten. In den "Gedanken und Gesprächen" findet sich eine große Anzahl interessanter und aufschlußreicher Hinweise, die uns auch über das Leben des Meisters selbst Auskunft geben.

Er war stets bestrebt, das, was er lebte, ins Leben umzusetzen, sei es, daß er sich nach alter Tradition den Omina entsprechend verhielt, sei es, daß er sich seiner Umgebung gegenüber ständig "schicklich", fair und anständig benahm. So verwendete er beim Fischfang die Angelrute und nicht ein Netz, weil er das den Fischen gegenüber unschicklich fand, und auf der Vogeljagd schoß er nie auf zum Schlafen aufgebaumte Vögel. Als er sicher war, daß keine heilige Schild-
kröte mit magischen Zeichen auf dem Rücken und kein Phönix mehr erscheinen würden. - zum Zeichen dafür, daß ein kraftvoller und heiligmäßiger Herrscher an der Regierung sei -, entsagte er dem Fürstendienst und dem Wirken in der Öffentlichkeit. Zeitlebens galten seine Träume dem halblegendären Herzog von Dschou, einem weisen und getreuen Prinzregenten in früher, glücklicherer Zeit.


Der Konfutse Tempel in Peking
Ein ganzes Buch der "Gedanken und Gespräche" ist dem vorbildlichen Verhalten des edlen Menschen konfuzianischer Prägung gewidmet mit besonderem Gewicht auf seinem Verhalten bei Opferhandlungen und rituellen Geschehnissen. Als einer seiner Schüler die Darbietung eines Lammes für die Ahnen beim Neumond-Opfer abgeschafft wissen wollte, sagte Konfutse: "Dir ist es leid um das Lamm, mir ist es leid um den geheiligten Brauch." Und wenn, wie alljährlich, zum neuen Jahr die bösen Geister aus dem Hause getrieben wurden, war Konfutse ängstlich bestrebt, die Ahnengeister zu beruhigen, damit sie nicht zusammen mit den schädlichen Geistern die Flucht ergriffen. Sorgsam stieg er über alle Tür-
schwellen, weil er sie von Geistern belebt glaubte.
Konfutses Grab in Peking.
Er war der Meinung, daß ein Trauernder sich für einige Zeit abseits des Alltags zu halten habe, ja, daß selbst ein Be-
sucher sich zumindest teilweise den Trauerriten unterziehen solle. Wenn Konfutse während eines Mahles neben einen Trauernden zu sitzen kam, aß er sich nicht satt, wenn er bei einer Be-
erdigung wehklagte, sang er für den Rest des Tages kein Lied mehr - er, der sonst so gern sang. Konfutse glaubte fest da-
ran, daß, wenn die Edlen im Lande pein-
lich genau all die für sie "schickli-
chen" Sitten beobachteten, auch das Volk seine Pflichten genaunehmen würde und auf diese Weise einfach zu regieren sei. Da Konfutse wie alle Chinesen an die Erbsündlosigkeit des Menschen und an den guten Kern in allen Menschen glaubte, hielt er strenge Gesetze für überflüs-
sig. Für ihn war Kultur ein Produkt des menschlichen Charakters: "Ist der Herr-
scher tugendhaft, wird es auch das Volk sein."Anmerkung des Verfassers: Diesen Satz von Konfutse sollte man ohne Ein-
schränkung an die Grosse Koalition von CDU und SPD in Berlin schicken).
Das Gute ist ihm lehrbar und erlernbar, an der Allmacht des guten Willens, der in allen Menschen schlummere und an den man nur zu appellieren brauche, sind Kon-
futse niemals ernsthafte Zweifel gekommen. Überzeugt, daß seine Lehre dem Tao entsprach und den Segen des Himmels genoß, hatte er nicht viel über eigentlich religiöse Dinge zu sagen. Wenn er auch die gebräuchlichen Riten übernahm - vor allem die zu Ehren der Ahnen, die übrigen um der "Schicklichkeit" willen -, so war ihm im Grunde alles gleichgültig, was über die soziale Ordnung hinausging. "Es ist schädlich, sich vom Studium der übernatürlichen Dinge fesseln zu las-
sen", sagte er. "Der Weise widmet sich vor allem seinen Pflichten gegenüber der Menschheit. Wenn er die Geister auch respektiert, so trachtet er doch danach, sie möglichst weit von sich zu halten."
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