Konfuzius    Laotse


  Die Philosopie Chinas  

Schutzgeist, der mit schreckeinflößenden Gebärden böse Geister vertreiben soll.
Vor ungefähr 2500 Jahren wurde der große Weise Konfutse, der eigentlich Kung-fu-tse heißt und auch Konfuzius genannt wird, eines Tages von einem Jünger gebeten, etwas über das Leben nach dem Tode zu sagen. Kon-
futse antwortete: "Wir kennen ja noch nicht einmal das Leben. Wie sollten wir da etwas vom Tode wissen?" Diese Worte enthalten in aller Kürze die chinesische Einstellung zu den Welträtseln im allgemeinen und zu dem der menschlichen Existenz im besonderen.

Denn anders als die Hindus sind die Chine-
sen durchaus kein leidenschaftlich reli-
giöses Volk, das von transzendente Prob-
lemen besessen wäre. Sie haben sich weniger mit dem Jenseits als damit befaßt, die ir-
dischen Angelegenheiten in gehöriger Weise zu führen und Glückseligkeit hier und jetzt anzustreben. Ihre gesellschaftliche Ordnung ruht nicht auf einer geoffenbarten Reli-
gion, sondern auf der Ethik des Konfutse. Und während die abendländische Lite-
ratur, Kunst und Musik entscheidend von der Gottesidee geprägt wurde, hat sich die chinesische Kunst vor allem von der Verehrung der Natur inspirieren las-
sen.

Die Chinesen lassen sich auch nicht klar über das Göttliche aus. Die Vorstel-
lung eines persönlichen Gottes ist ihnen weniger geläufig als den Christen, Juden oder Moslems. Es hat in der chinesischen Geschichte auch weder große Apostel noch Märtyrer oder Erlöser gegeben und nur sehr wenige, die man reli-
giöse Führer nennen könnte. In der chinesischen Gesellschaft hat gewöhnlich nicht der Priester, sondern der Gelehrte die erste Rolle gespielt. Und Kon-
futse selber war keine mönchische Natur, sondern ein froher, lebensbejahender Mann, der an Lautenspiel, gemeinschaftlichem Gesang, Jagen, Fischen und Wa-
genfahren seine Freude gehabt hat.

Konfuzius - Denkmal.

Das chinesische Volk ist entsprechend seiner sozialen Schichtung religiös sehr gespaltet.
Man hat die Chinesen einmal als "der Re-
ligion entwachsen" bezeichnet. Das ist
aber keineswegs gleichbedeutend mit reli-
gionsfeindlich. Vor der kommunistischen Machtübernahme hat es in der jahrtausende-
langen chinesischen Geschichte kaum jemals religiöse Unduldsamkeit und also auch - abgesehen von einigen unglücklichen Epochen keine Religionskriege oder - Verfolgungen gegeben. Aus diesem Grunde haben die Chine-
sen aber auch niemals einen einheitlichen und geschlossenen Glauben wie das Christen-
tum oder den Islam hervorgebracht. Die chinesische Religiosität ergibt sich aus der Verbindung vieler Elemente, einheimi-
scher wie fremder, rationalistischer wie primitiver. Außerdem ist das chinesische Volk entsprechend seiner sozialen Schich-
tung auch religiös gespalten. Die breiten Massen halten weiter fest an überkommenem Aberglauben und am Animismus - dem Erbe frühester chinesischer Kultur. Die gebildete Oberschicht hingegen hält sich an die konfuzianische Ethik und beachtet streng die traditionellen Formen, was eine leichte Skepsis nicht ausschließt. Aus diesem komplexen Gesamtbild ragen Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus gleich drei großen gedanklichen Pfei-
lern empor.

Der erste - der Konfuzianismus - ist weniger eine Religion als ein System, das die menschlichen Beziehungen im Rahmen einer idealen ethischen Gesamtordnung festlegt. Von Konfutse im 6. Jahrhundert v. Chr. entwickelt, haben seine Vor-
schriften jeden Aspekt chinesischer Kultur und Geistigkeit beherrscht. Die alte chinesische Gesellschaft, die auf der Familie als fester Einheit aufbau-
te, ist eine konfuzianische Gesellschaft gewesen. Das zweite Element, der Mahajana-Buddhismus, wurde wahrscheinlich im 1. Jahrhundert v. Chr. aus Indien übernommen und gleichzeitig damit auch das Zubehör dieser Religion:

Priesterschaft, Gebetsübungen, ein Pantheon von Göttern in Menschengestalt, Bildwerke (wie der Schutzgeist ganz oben links) alles Dinge, die China bis dahin nicht gekannt hatte. Das dritte Element schließlich, der Taoismus, ist nicht so leicht zu definieren. Wörtlich genommen, ist der Taoismus die Philo-
sophie des Laotse, eines Zeitgenossen Konfutses, der Abkehr von der Zivili-
sation und Rückkehr zur Natur predigte, um so mit dem Tao, mit dem "Ewigen Weg" - das heißt mit der höchsten Triebkraft hinter dem Weltall in Einklang zu kommen.

Das zweite Element, der Mahajana-Buddhismus, wurde wahrscheinlich im 1. Jahrhundert v. Chr. aus Indien übernommen und gleichzeitig damit auch das Zubehör dieser Religion.

Im weiteren Sinne des Wortes versteht man unter Taoismus jedoch eine Mischung von Magie und Religion, die auf das 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zu-
rückgeht und so viele Anleihen beim Buddhismus und bei den primitiven Natur-
kulten gemacht hat, daß von der ursprünglichen Mystik Laotses nicht viel mehr übriggeblieben ist als taoistische Priester im bunten Gewand.

Ein wesentlicher Charakterzug chinesischer Religiosität ist der, daß sich die Chinesen mit Ausnahme der Priester und sonstiger Würdenträger niemals als "Konfuzianer", "Buddhisten" oder "Taoisten" betrachtet haben. Aus diesem Grunde gerät in China auch alle amtliche Religionsstatistik ins Gedränge. Die letzten Zahlen, die aus dem Jahre 1947 stammen, geben zwar an, daß von den damals rund 530 Millionen Chinesen 300 Millionen Konfuzianer, 150 Millionen Mahajana-Buddhisten und 30 Millionen Taoisten (dazu 48 Millionen vorwiegend in den Westprovinzen lebende Mohammedaner sowie 2 Millionen Christen) gewesen seien. Doch sind diese Zahlen hinsichtlich des Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus wohl nicht allzu genau. Denn viele Chinesen bezeichnen sich bei freu-
digen Anlässen als Konfuzianer, bei traurigen als Buddhisten, und Taoisten sind sie alle. Nach altchinesischer Auffassung sind Himmel, Erde und Mensch dem Chinesen eine große, umfassende Einheit, ein Universum, und deshalb hat der niederländische Sinologe Johann Jakob Maria de Groot für die chinesische Religiosität den Begriff des Universismus geprägt. Er meint damit "die ge-
meinsame geistige Grundlage der chinesischen Anschauungen über Weltbild, Ethik, Staatswesen und Wissenschaften. Der Universismus ist eine Lehre, in deren Zentrum das Universum mit all seinen Teilen und Erscheinungen steht und welche die Harmonie von Himmel, Erde und Mensch herbeizuführen bestrebt ist."

  Ewige Harmonie  

Eine Geburtstagszeremonie, von andächtigen Nachkommen zu Ehren einer frommen Ahnfrau gefeiert.

Der Mensch nimmt im chinesischen Denken nicht ganz die beherrschende Stellung ein, die ihm die abendländische Philosophie zumißt, wenn sie in ihm den Träger der natürlichen Ordnung und das eigentliche Ziel der Weltschöpfung sieht. Für den Chinesen ist der Mensch nur ein - wenn auch wichtiger - Teil des Weltge-
schehens, in dem er steht. Während der westliche Mensch danach trachtet, die Natur zur Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse zu unterwerfen, hat der Chinese immer danach gestrebt, seelische Erfüllung im Gleichklang mit dem Kosmos zu finden.

Der große Wunsch nach Harmonie mit dem All wurzelt zweifellos in jenen vorge-
schichtlichen Zeiten, in denen die Ahnen des chinesischen Volkes den wohltä-
tigen wie den schrecklichen Elementargewalten hilflos ausgeliefert waren und in ihnen das Walten guter und böser Mächte sahen. Mit der Entwicklung der Landwirtschaft wurden sie sich ihrer Abhängigkeit vom Kreislauf der Natur und ihrer Ohnmacht gegenüber deren Launen nur noch mehr bewußt. Sie erkannten einerseits die Ordnung in der Bewegung der Himmelskörper, im Ablauf der Jah-
reszeiten, im Wachstum der Pflanzen und im Rhythmus der großen Ströme - an-
dererseits aber sahen sie sich auch immer wieder der unberechenbaren Gewalt von Überschwemmungen, Stürmen und Trockenzeiten ausgesetzt.


Aus diesen Beobachtungen entwickelte sich eine Kosmologie mit einer philo-
sophischen Interpretation der natür-
lichen Ordnung. Möglicherweise wurde sie schon um das Jahr 1000 v. Chr. formu-
liert, also etwa zur selben Zeit wie die hinduistischen Weden. Schriftlich fix-
iert wurde sie erstmals im 4. Jahrhun-
dert v. Chr. Damals erkannten die Weisen die Existenz von zwei im Universum wech-
selweise wirksamen Kräften oder Prinzi-
pien, dem Jang und dem Jin, und kamen zu dem Schluß, daß alles Bestehende aus dem Widerspiegel dieser beiden Faktoren erwächst und auch deren Merkmale be-
sitzt, freilich in unterschiedlichem Maße.

Jede dieser beider Polaritäten stellt eine Summe von Eigenschaften dar: Jang ist die positive oder männliche Kraft. Sie wirkt in allem, was licht, aktiv, hart, trocken, glänzend, warm, schöp-
ferisch und beständig ist; sie ist in der Sonne und im Feuer, an der Südseite der Berge und am Nordufer des Flusses. Jin ist das negative oder weibliche Prinzip - immanent allem Passiven, Feuch-
ten, Kalten, Weichen, Dunklen, Empfangenden, Geheimnisvollen, Verborgenen, Wechselhaften, Wolkigen, Verhangenen und Ruhenden; es ist im Schatten und im Wasser, an der Nordseite der Berge und am Südufer der Flüsse. Jin und Jang zeugten gemeinsam alle Dinge der Welt, einschließlich des Himmels (der vor-
wiegend Jang-Charakter trägt) und der Erde (die überwiegend Jin ist). In demselben Gegenstand kann einmal das eine, ein andermal das andere Prinzip vorherrschend sein. So wechselt ein Stück Holz seinen Charakter von Jin zu Jang, wenn man es ins Feuer wirft.


Jin und Jang zeugten gemeinsam alle Dinge der Welt, einschließlich des Himmels (der vorwiegend Jang-Charakter trägt) und der Erde (die überwiegend Jin ist).  Dieses Bild entspricht etwa Adam und Eva - oder Himmel und Erde- wie immer es der Betrachter sehen mag.
Der wesentliche Unterschied zwischen der chinesischen Auffassung von Jin und Jang und anderen klassischen Dualismen der Philosophie - Licht und Dunkel, Gut und Böse - liegt in der Tatsache, daß diese ewig mitein-
ander im Widerstreit stehen, Jin und Jang hingegen im Grunde übereinstimmen. Weibliches Jin und männliches Jang sind für die Weltordnung erforderlich und er-
gänzen sich gegenseitig. Solange sie im rechten Ein-
klang stehen, sind sie immer gut. Aber wie kann diese Eintracht zwischen zwei Gegensätzen erreicht werden? Wie können sie zur Aufgabe ihrer auseinanderstreben-
den Wesenszüge und zu harmonischem Zusammenwirken gebracht werden, um so die wunderbare Ordnung im All zu ermöglichen?

Die chinesische Antwort lautet: Die Quelle ihrer Ein-
tracht, der Ursprung aller Ordnung in der Welt ist das Tao. Die Vorstellung vom Tao ist das Herzstück aller chinesischen philosophischen Spekulation. Ge-
nerationen von Gelehrten haben ihr Leben damit ver-
bracht, eine Definition des Tao - gesprochen wird das Wort: Dau - zu suchen. Wörtlich und im engsten Sinne bedeutet es Weg, Straße, Bahn, Kanal. Durch Begriffserweiterung kann daraus "der rechte Weg", "der Weg des Alls", "das Gesetz des Lebens" oder "das uni-
verselle Gesetz" werden.

Vom Beginn der Zeit an, als Tai-dji, die "Urgröße" oder "Ureinheit" des Kos-
mos, anfing, sich in die beiden Elemente Jang und Jin zu spalten, war das Tao, das über die sichtbare und unsichtbare Welt hinausreicht, als integrierender Faktor wirksam. Selbst der Himmel wirkt durch das Tao; die Götter handeln immer in Übereinstimmung mit dem "Weg". Die Idee des Tao taucht zwar bereits im frühesten chinesischen Schrifttum auf, wurde aber erst im Tao-te-king, einer Sammlung esoterischer und mystischer Gedichte, die man Laotse zuschreibt zur höchsten Vollendung gebracht. Das Tao ist hier das alles ordnende Prinzip des Universums. Wenn jeder in Übereinstimmung mit dem leben würde, was das Tao fordert - natürlich und einfach, frei von Ehrgeiz und Angriffslust -, dann würden gute Nachbarschaft und brüderliche liebe die Menschenwelt beherrschen.

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