Konfuzius    Laotse


  Feste und Riten  

Ein angemalter Spaßmacher wartet beim Dorffest auf seinen Auftritt, um Götter wie Gläubige gleichermaßen zu unterhalten.
Für die Millionen Chinesen, die nichts von konfuzianischer Philosophie, taoistischer Mystik oder buddhistischer Metaphysik wis-
sen, besteht die Religion im wesentlichen aus der Anerkennung mächtiger Kräfte - Geister und Dämonen -, die auf dem Lande, im Wasser, in der Luft und in einer über-
natürlichen Welt wohnen. Seit Urzeiten hat man danach getrachtet, diese Geister, von denen es in der Natur wimmelt - und die folkloristisch als Vorstufe zu den Göttern der Formalreligionen betrachtet werden kön-
nen -, durch Bitt- und Dankriten günstig zu stimmen. Glück und Unglück des Menschen werden durch wohlwollende (Schen) und bös-
willige Geister (Kuei) bestimmt. Überall droht Gefahr in der Gestalt von Tier-, Vo-
gel und Fischdämonen, die schreckliches Unheil hervorrufen können, wenn man sie aufstört. Keine Hochzeit und kein Geburts-
tag sollte gefeiert werden, ohne daß man auf sie Rücksicht nimmt; kein Haus darf gebaut und kein Grab geschaufelt wer-
den, ohne daß man vorher den Rat von Kundigen einholt, die sich in den Geset-
zen der Geisterwelt und der Wechselbeziehungen innerhalb des Universums (des "eng-schui", wörtlich "Wind-Wasser") auskennen. Schon viele Jahrhunderte vor Buddha und Konfutse hat man Geister und Dämonen durch Opfer besänftigt. Da die Chinesen aber Realisten sind, haben diese Opfer allmählich symbolischen Cha-
rakter angenommen, so daßman heute nur noch papierene Nachbildungen der Weih-
gaben verbrennt oder die Nahrungsmittelopfer zwar ehrfurchtsvoll den Geistern anbietet, später aber selber ißt.
Der Drache personifiziert in der chinesischen Mythologie die wohltätigen Kräfte der Natur: Segenbringenden Regen, reiche Ernten, Wohlstand und Frieden. Der Drachenkult spielt eine Rolle vor allem beim chinesischen Neujahrsfest, an dem sein riesiges papierenes Ebenbild unter Trommelschall und Abschießen von Feuerwerkskörpern durch die Straßen getragen wird, wobei Spaßmacher und Artisten auf den Plätzen ihre Künste zeigen.

Ein Boot für die Götter, ausgerüstet zum Empfang seiner himmlischen Passagiere. Am Ende der Feier geht das Boot in Flammen auf und bringt so die Götter wohlbehalten wieder in den Himmel zurück.
Wenn es den Chinesen von heute mehr darum geht, freundliche Geister zu beschwören, böse auszutreiben, ähneln doch diese Zere-
monien manchmal eher einem fröhlichen Fa-
schingsfest als einer kultischen Handlung. Aber selbst dann wurden die eigentlichen Riten immer genauestens befolgt, denn der strikten Einhaltung der überlieferten For-
men wird in China allergrößte Bedeutung beigemessen. Die moderne Technik, die Mo-
torisierung des Verkehrs, vor allem aber der wirklich totale Umbruch, den die Herr-
schaft des Kommunismus für China bedeutet, haben all diese Riten, die noch vor kurzem in vollem Schwange waren, stark beein-
trächtigt, wenn nicht beseitigt. Das kom-
munistische Regime in China erlaubt zwar, daß die großen Feste - das Neujahrsfest, das Fest des Drachengottes, das Fest des Achten Mondes - in der alten Weise gefeiert werden, sonst aber steht es den alten Tra-
ditionen und Glaubensvorstellungen grundsätzlich feindselig gegenüber. Aus dem offiziellen China sind kaum Bilder zu bekommen weshalb man sich in die Rand-
gebiete begeben muss wie z. B. Formosa, Singapur, Korea u. a. -, wo die alten Zeremonien noch in ungebrochener Dynamik und Farbigkeit weiterleben. Die bei-
den Bilder oben stammen von einem Fest, das in dem Dorf Liu-Yen auf Formosa zu Ehren eines irdischen Abgesandten des "Jade-Kaisers" oder "Edelstein-Kaisers" Yü-huang stattfand; er ist die höchste Gottheit des taostischen Pantheons. Außerdem wurden noch einige kleinere Erdund Wassergötter geehrt. Durch die Kulthandlungen, die alle drei Jahre stattfinden, soll der Dank für vergangene Gunstbezeugungen der Götter, aber gleichzeitig auch die Bitte um gnädige Be-
treuung in den nächsten drei Jahren ausgedrückt werden.


Schon Jahrhunderte vor Konfutse, in der Frühzeit östlicher Kultur, stand die Verehrung der Vorfahren im Mittelpunkt des chinesischen religiösen Lebens. Es gab bereits unter der Schang-Dynastie (1772-1122 v. Chr.) Altäre für die Ah-
nen, und viele der Begräbnis- und Trauerriten, die Teile des konfuzianischen und taoistischen Kultes wurden, gehen auf ältere Traditionen zurück. Die bin-
dende Kraft, die die chinesische Familie zusammenhält, ist die Überzeugung, daß kein Mensch für sich allein steht, sondern daß jeder einzelne ein uner-
läßliches Glied in einer endlosen menschlichen Kette ist, die sich aus der Vergangenheit durch die Gegenwart bis in die Zukunft fortsetzt.

Diese Überzeugung hat auch die konfuzianische Ethik übernommen. Ihr Kernstück ist eine Formulierung der "Fünf Beziehungen": zwischen Herrscher und Untertan, Vater unq Sohn, Gatte und Gattin, älterem und jüngerem Bruder, älterem und jüngerem Freund. Diese fünf sind die "großen" Beziehungen, die Konfutse als entscheidend für die soziale Ordnung erkannte. Um die Notwendigkeit ihrer sorgfältigen Beobachtung zu unterstreichen, benutzt er gern das Wörtchen "li", was soviel wie "schicklich", "dem idealen Maßstab entsprechend" und damit "Sittengesetz" bedeutet. Wenn die menschlichen Beziehungen so geregelt werden, daß sie die Bezeichnung "li" verdienen, wird das zu einer idealen und harmo-
nischen Sozialstruktur im ganzen Lande und zu Ordnung innerhalb der Familie führen. Aus diesem Grunde ist das konfuzianische Moralsystem ganz zu Recht eine "Philosophie der Schicklichkeit" genannt worden.

Ein Trauergefolge auf Tainan geleitet den Toten vom Sterbehaus zum Friedhof. Im Vordergrund fahren die taoistischen Priester in Rikschas. (Die Sitte der Blumenkränze ist vom Westen übernommen worden).
Obgleich der Hauptakzent des Konfuzianismus auf der Verehrung der Älteren liegt - des Herrschers, des Vaters, des älteren Bruders -, sind die sozialen Verpflichtungen doch keineswegs einseitig. Konfutse machte das klar, als ein Schüler ihn darum bat, eine Kardinalregel für das Leben aufzustellen. "Tu niemandem an, was du nicht selber gern erfahren würdest!", das war die prompte Antwort. Aus dieser negativ gefaßten Goldenen Regel - die sich ja völlig mit jüdischen und christlichen Grundsätzen deckt - entwickelten Konfutses Schüler später die "Zehn Verhaltensweisen", von denen die "Fünf Beziehungen" bestimmt werden sollten. Es sind: Liebe des Vaters, Kindliche Ehrfurcht des Sohnes, Sanftmut des älteren Bruders, Demut und Respekt des jüngeren, Rechtschaffen-
heit des Gatten, Gehorsam der Gattin, menschliche Rücksichtnahme der Älteren, Ehrerbietung der Jüngeren, Wohlwollen der Herrscher, Treue der Untertanen.

  Famlilie und Ahnenkult  

Nahrung und Geld werden hier den Geistern der Toten auf einem Friedhof in Malaia dargebracht. Beim Frühlingsfest ehrt man alter Tradition getreu die Ahnen, indem man die Gräber reinigt, das Unkraut jätet, die Inschriften erneuert und der Toten in stiller Andacht gedenkt.

Konfutse hat niemals Anspruch darauf erhoben, seinen Moralkodex selber er-. funden zu haben. Aber wie die frühchinesischen klassischen Schriften ermahnte er seine Jünger und Schüler immerfort, die Gebräuche der Alten zu ehren. Indem er Überkommenes kodifizierte, es auf Grund seiner Einsichten erläuterte und durch eigene neue Vorschriften ergänzte, trug er dazu bei, eine der dauerhaf-
testen Gesellschaftsformen der Welt zu fundieren. Seit Konfutses Zeiten, das heißt seit zweieinhalb Jahrtausenden, beruht die ganze chinesische Kultur auf der Solidarität der Familie - einer Institution, die die soziale Struktur auch in Epochen des Chaos und der Auflösung zusammengehalten hat. Die konfuziani-
sche Vorstellung von der kindlichen Ehrfurcht durchdrang alles Denken: Das Reich selber wurde zu einer riesigen Familie, der Kaiser, der "Sohn des Him-
mels", war der wohlwollende Vater, seine Untertanen waren die Kinder.

In stiller Andacht gedenkt man der Toten.
So ist es verständlich, daß die Chinesen, wenn sie von ihrer Familie sprechen, diesen Begriff nicht auf diejenigen beschränken, die unter demselben Dach leben, oder auf die "Verwandtschaft" im weiteren Sinne des Wortes. Sie bezie-
hen vielmehr auch die toten Vorfahren mit ein, die sie als Mitglieder der le-
bendigen Gemeinschaft betrachten, immer gegenwärtig und der Familie auf Gedeih und Verderb verbunden. Keines Menschen Heim oder Besitz, noch nicht einmal sein Körper, gehört ausschließlich ihm selber. Auch die Ahnen haben daran teil. Außerdem sind die Geschicke der Lebenden und der Toten unlösbar mit-
einander verbunden. Wer stirbt, kann entweder - wie er hofft - ein guter, den Seinen hilfreicher Geist werden oder aber das Heer der Dämonen verstärken. Sein Schicksal ist nicht nur von seinen eigenen Taten abhängig, nicht nur von der moralischen Haltung, die er selber zu seinen Lebzeiten an den Tag gelegt hat, sondern auch von der Inständigkeit, mit der die Nachkommen sein Andenken ehren.

Schon deshalb ist das Zeugen vieler Kinder dem frommen Chinesen ein religiöses Gebot. Danach ist es Sünde und Unklugheit zugleich, wenn man nicht alle Toten-
gebräuche genau einhält, die vorschreiben, "schickliche" Trauerkleidung anzu-
legen und für ein "schickliches" Leichengefolge zu sorgen. Nicht minder wich-
tig, ja unerläßlich ist es, dem Toten regelmäßig Opfergaben darzubringen. Es ist ein allgemein verbreiteter Volksglaube, daß die Geister der Toten um so glücklicher und also auch um so wohlwollender sein werden, je großartiger ihr Leichenbegängnis war und je häufiger man danach Gedenkandachten für sie ab-
hält. So ist es aber auch verständlich, daß viele Chinesen, die ausgewandert sind, ein Leben lang sparen, damit ihr Leichnam in die Heimat gebracht und dort bestattet wird. "Die Toten so zu ehren, als ob sie noch lebten", sagt Konfutse, "ist höchster Ausdruck kindlicher Ergebenheit."

 Zurück zum Index  Zurück zur Seite 2 Weiter: Die beiden grossen Weisen